Fast alles ist Chemie und fast alles muss sich rechnen. Das ist schon mal ein Berührungspunkt von zwei sonst sehr unterschiedlichen Fächern: von BWL und Chemie.
Studienreport Wirtschaftschemie
Wer auf einem naturwissenschaftlich-mathematischen Gymnasium war, hatte neben Physik und Biologie meist auch Chemie. Oder zumindest die Gelegenheit, darin unterrichtet zu werden. Dabei dürfte es vielen so oder so ähnlich gegangen sein: Anfangs ein interessantes Fach, weil es ganz neue Einblicke in die Natur eröffnete, das jedoch im Laufe der Zeit immer schwieriger wurde. Auch weil ihm, anders als es bei der Physik der Fall ist, oft die Anschaulichkeit fehlt. Während Physik, solange es nicht um Atomphysik oder Astrophysik geht, eher etwas zum Anfassen ist, ist Chemie ein sehr abstraktes Fach.
Meist wird Chemikern deshalb auch mit Hochachtung begegnet, sind sie doch in Welten unterwegs, von denen man zwar weiß, dass es sie gibt, die man sich jedoch nicht so recht vorstellen kann. Denn Chemie ist die Wissenschaft, die sich mit dem Aufbau, den Eigenschaften und der Umwandlung von Materie befasst. Sie teilt sich in die vier Hauptgebiete Allgemeine, Anorganische, Organische und Physikalische Chemie auf. Denkt man an Chemiker, denkt man meist an Menschen in Laboren, die weiße Kittel tragen und intensiv in Elektronenmikroskope starren, etwas mischen oder Reagenzgläser gegen das Licht halten, um besser sehen zu können, was sich darin tut.
Dass es ein besonderer Beruf ist, zeigt sich auch daran, dass man ohne Doktorarbeit kaum etwas in diesem Beruf wird. Sie ist die Eintrittskarte, und es dauert oft Jahre, bis man sie sich gesichert hat. Also das glatte Gegenteil zur Doktorarbeit der Mediziner, die oft in drei bis sechs Monaten erledigt ist und oft nur die Funktion hat, dass man den Titel auf sein Schild vor der Praxis setzen kann. Die Patienten sehen es als Beleg, dass es sich um einen „richtigen“ Arzt handelt. Außerdem: Wie soll man den Arzt Karl Meier ansprechen, wenn er keinen Doktortitel hat? „Herr Doktor“ passt dann ja nicht so richtig.
Keine Frage, Chemiker ist ein besonderer Beruf. Wenn man sich mit ihnen unterhält, wird einem schnell klar, dass sie die Welt aus einer anderen Perspektive sehen als Nichtchemiker. Denn Chemie ist überall. Chemie ist zwar nicht alles, doch ohne Chemie wäre so gut wie nichts. Jedenfalls würde die Welt nicht so aussehen, wie wir sie kennen. Wahrscheinlich würde es gar keine geben.
Wirtschaftschemie ist nicht gerade ein Fach, das sich großer Bekanntheit erfreut. Wer sich jedoch mit ihm auseinandersetzt, erkennt meist schnell die Berufschancen, die sich hier ergeben. Die TU Clausthal hat dazu einen Bachelorstudiengang im Angebot. Für Prof. Andreas Schmidt, Chemiker und Studiengangsleiter, ist es ein regelrechtes Sprungbrett in Führungspositionen. Weiter ...
Viele Chemiker sind leidenschaftliche Wissenschaftler, die den Geheimnissen der Natur auf den Grund gehen und durch die Verbindung von Elementen Neues schaffen wollen. Plastik ist so ein Beispiel, das in der Natur nicht vorkommt, sondern ein künstliches Produkt ist. Nicht selten stellt sich dann erst nach Jahren heraus, dass diese künstlichen Produkte oft negative Folgen haben, für die Umwelt und den Menschen wie Plastik, Mikroplastik und die ewigen Chemikalien. Mikroplastik findet man inzwischen nicht nur in Fischen, die es mit der Nahrung aus den Meeren aufnehmen, sondern auch im menschlichen Körper mit zum Teil noch unabsehbaren Folgen.
Bei der chemischen Forschung ist Deutschland seit jeher internationale Spitzenklasse, trotz zunehmender Konkurrenz. BASF ist vor dem US-Konzern Dow das größte Chemieunternehmen der Welt, das jedoch überwiegend im Ausland produziert.
Obwohl Chemiker also überaus schlaue Leute sind, kam vor einiger Zeit doch das Gefühl auf, dass die Wirtschaft sehr kompliziert geworden ist, und man sich deshalb der Dienste von Wirtschaftsprofis, vor allem von Betriebswirten, bedienen sollte. Im Übrigen können sich Chemiker dann wieder auf ihre eigentliche Aufgabe, die Forschung, konzentrieren, wo sie sich viel wohler fühlen. Ganz nach dem Motto: Jeder soll das tun, was er am besten kann.
An der Uni Regensburg hat das Fach Wirtschaftschemie vor Jahren Einzug gehalten. Der Betriebswirt Prof. Roland Helm und der Chemiker Prof. Joachim Wegener erläutern, was es mit dem Studium auf sich hat. Weiter ...
Allerdings ist Chemie ein solch komplexer Wissenschaftsbereich, dass er traditionell ausgebildete Betriebswirte schnell überfordert. Also wurde die Idee geboren, ein spezielles Studium zu organisieren, in dem Chemie und BWL verschmolzen werden. Was die Geburtsstunde des Fachs Wirtschaftschemie war. Als Vorbilder dienten Studiengänge wie Wirtschaftsingenieurwesen, Wirtschaftsinformatik, Wirtschaftspsychologie, Wirtschaftsmathematik und Wirtschaftsrecht, die ebenfalls zwischen Wirtschaft und einem nicht wirtschaftlichen Fach angesiedelt sind. Vor allem an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Uni war man von Anfang an mit dabei, wo der Studiengang seit 1998 angeboten wird. Ein paar Jahre später gab es dort bereits einen Bachelor- und einen Masterstudiengang.
Heute gibt es das Studienfach Wirtschaftschemie außer in Düsseldorf an den Unis Münster, Regensburg, Kiel und Ulm, an der TU Clausthal und der RPTU in Kaiserslautern sowie an der Hochschule Fresenius in Idar-Oberstein.
Die Kombination von BWL und Chemie ist für viele Studienanfänger so überraschend und fremd, dass sie von sich nie auf die Idee kommen dürften, sich für dieses Fach zu interessieren und sich nach Studienmöglichkeiten umzusehen. Aber auch erfahrene und gestandene BWLer haben oft noch nie etwas von dem Fach gehört. Die Hochschulen, die es anbieten, haben also auch die Aufgabe, es bekannt zu machen. Womit sie in Konkurrenz zu unzähligen anderen Studiengängen stehen, die in den letzten Jahren das Licht der Welt erblickten und ebenso wie die Wirtschaftschemie um Aufmerksamkeit bei Abiturienten und später bei Bachelorabsolventen ringen.
Eine weitere Herausforderung ist, dass es fast eine Art Doppelstudium ist, bei dem neben die heutzutage sehr umfangreiche BWL ein weiteres Studium tritt, das es in sich hat. Zwar ist die Ausbildung zum Wirtschaftschemiker, was den Chemieteil anbelangt, nicht so anspruchsvoll wie bei einer Ausbildung zum Chemiker. Ein solides Grundlagenwissen muss allerdings erworben werden, um zu verstehen, wovon Chemiker reden und womit sie sich beschäftigen.
Deshalb stehen Wirtschaftschemiker ebenso wie Chemiker im Labor und nehmen an Experimenten teil. Ebenso wie Wirtschaftsinformatiker programmieren lernen, um alle Seiten der IT zu verstehen, wie Wirtschaftsingenieure Maschinen bauen, sich Wirtschaftspsychologen mit Therapieformen befassen und Wirtschaftsjuristen Rechtsfälle lösen müssen.
Später im Beruf kommen auf Wirtschaftschemiker eine Vielfalt von Aufgaben zu. Da kann es um Kostenrechnung, Finanzierung, Einkauf, Logistik und Lieferketten, um Organisationsfragen und Personalmangement, um Marketing oder Unternehmenstrategien, um die Erschließung neuer Märkte und vieles andere gehen.
Als Arbeitgeber kommen neben der chemischen Industrie auch die Pharmaindustrie oder die Lebensmittelindustrie sowie viele Unternehmen aus den Zulieferindustrien in Betracht. Und die Berufsaussichten sind äußerst gut. Denn gut ausgebildete Betriebswirte können Gold wert sein.
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